Über Briten lässt sich trefflich lästern. Zumindest, wenn man auf Bad Religion trifft. So sagt Greg Graffin, Sänger und Mastermind der US-Punklegende: >>Das Fatale an den Briten ist, dass sie in ihrer dekadenten Arroganz und Überheblichkeit allen anderen Völkern gegenüber selbst zu Stereotypen geworden sind.<<
Irgendwann scheint der Band ein Brite über die Leber gelaufen zu sein. Ob das damit zu tun hat, dass die Inselpresse Bad Religion nie sonderlich wohlgesonnen war?
>>Ach, Quatsch<<, empört sich Brian augenzwinkernd ob dieser Unterstellung, >>es ist einfach ein Fakt, dass Briten masslos arrogant, überheblich und zurückgeblieben sind. Sie bilden sich ein, Götter zu sein, zu denen der Rest des Universums gefälligst aufzublicken hat. Und natürlich sind sie im Besitz der absoluten Wahrheit.<<
>>Alles halb so wild<<, mischt sich Greg Graffin wieder ein. >>Es macht uns einfach Spass, über die Briten zu lästern. So wie ihr Deutschen wahrscheinlich über Bayern, Ost-friesen oder Sachsen herzieht, je nachdem aus welcher Ecke des Landes ihr selber kommt. Was wir hier gerade machen, ist letztlich nur Blödelei. Aber mit einem bitteren Unterton. Denn immerhin ist es dieses Gefangensein in Stereotypen, das zu Kriegen führt. Bosnien ist da nur ein Beispiel. Würden die Völker in Bosnien anerkennen, wieviel mehr sie vereint denn trennt, wäre die Geschäftsgrundlage für diesen Krieg von einer auf die andere Sekunde entfallen.<<
Stereotype ist das Oberthema des neuen Bad Religion-Albums "The Gray Race". Wir befinden uns im legendären Electric Ladyland-Studio mitten in New Yorks Greenwich Village. Hier hat zu Lebzeiten einst Jimi Hendric gearbeitet. Und hier spukt sein Geist immer noch, glaubt man den Geschichten, die umgehen. Einer simplen Neonröhre hat sich Jimis Geist bemächtigt, lässt sie nach Belieben flackern und ausgehen, ohne dass ein Techniker was dran ändern kann.
>>Behaupten auf jeden Fall die Studioleute<<, lacht Jay Bentley. >>Ich glaube allerdings eher, dass diese New Yorker schlicht technisch unbegabt sind.<<
Ein weiteres Stereotyp, dem Greg Graffin allerdings heftigst widerspricht. >>Hey, Moment mal, die New Yorker mögen nicht die hellsten Köpfe sein, aber sie sind immer noch besser als die Engländer.<< Schallendes Gelächter ist die Antwort.
>>Du musst wissen<<, erklärt Brian Gregs Unmut, >>dass Greg mittlerweile selbst ein New Yorker ist.<<
In der Tat arbeitet der Bad Religion-Sänger nebenbei als Geschichtsdozent an einer New Yorker Uni und hat in der Vergangenheit auch noch Philosophie studiert.
>>Ja<<, flachsen die Kollegen. >>Greg ist fast so ein intellektueller Überflieger wie Henry Rollins!<<
>>Hey, keine Witze über Henry Rollins, bitte<<, mischt sich sofort Jay Bentely ein. >>Der ist immerhin ein früherer Arbeitskollege von Brian.<<
>>Stimmt genau<<, bestätigt der. >>Wir haben beide in derselben Häagen Dasz-Filiale den Boden geschrubbt.<<
Die Band hat sichtlich gute Laune. Schliesslich ist das Album fertig (siehe auch LP-Reviews dieser Ausgabe), und die Fünf können zurück in ihre jeweiligen Heimatstädte, die an ganz unterschiedlichen Ecken des Kontinents liegen - L.A., Vancouver, Seattle, New York...
Musikalisch hat sich dabei nicht viel geändert. Sie sind sich treu geblieben und nach wie vor eine Kraftstrotzende Punkband mit ausgeprägtem Gespür für eingängige Harmonien.
Allerdings, auch das wird auf "The Gray Race" überdeutlich, haben sie im Laufe der Jahre ihre musikalische und stilistische Bandbreite erheblich erweitert, weg vom tumben Nullachtfünfzehn-Punk hin zum kontrollierten Spiel mit Anleihen aus anderen musikalischen Gefilden. Das wirklich Neue and "The Gray Race" ist das ausgefeilte inhaltliche Konzept, das die Band stärker als je zuvor von ihrer nachdenklichen Seite zeigt.