20 Jahre im Sinne der Bildung
Wozu braucht die Welt ein neues BAD RELIGION-Album? Oder, anders gefragt: Braucht die Welt noch ein Album, welches sich von den zehn vorherigen nur marginal unterscheidet? Nicht wirklich. Das hat offensichtlich auch Greg Graffin eingesehen. Nach den beiden letzten, sagen wir mal: routiniert wirkenden Veröffentlichungen „The Gray Race“ und „No Substance“ war es höchste Zeit für Veränderung.
Nicht umsonst wurde das Ausscheiden von Brett Gurewitz nach dem Release von „Stranger Than Fiction“ (1994) in Interviews oft mehr thematisiert als alles andere – nicht wenige waren der Meinung, dass die Qualität der Alben unter dem Verlust seiner Songschreiber-Qualitäten zu leiden hatte. Das neue Werk namens „The New America“ könnte im übertragenen Sinne aber tatsächlich auch die Geburt der neuen, wieder ernst zu nehmenden Bad Religion darstellen. Die Weiterentwicklung besteht allerdings eher in einem Rückblick auf die eigenen musikalischen Wurzeln: Es finden sich viele Zitate auf dem Album, die an klassischen amerikanischen Folk und den frühen New Yorker, noch tief im Rock’n’Roll verwurzelten Punkrock erinnern.
Während „No Substance“, welches seinen traurigen Höhepunkt im Stadien-Rockreigen „Raise Your Voice“ fand, einfach lustlos nach Rentenabsicherung klang, hat „The New America“ Tiefgang. Man denkt an Wayne Kramer, an MC 5 und die New York Dolls. Ist also auch für Bad Religion der Punkt gekommen, an dem man sich auf die Ursprünge besinnt? Greg, der es sich in einem Sessel im New Yorker Riga Hotel gemütlich gemacht hat, versucht sich an einer Erklärung: „Es ist nicht überraschend, dass du Folkeinflüsse gehört haben willst. Viele meiner musikalischen Ideen kommen daher. Das kann man besonders bei der Melodieführung vieler neuer Songs hören. Es ist nur natürlich, dass wir uns in diese Richtung entwickelt haben, weil die meisten Bad Religion-Songs an der Akustik-Gitarre oder am Piano entstehen, wo du im Prinzip nur mit simplen Akkorden und Melodien arbeitest.“
Am deutlich hörbaren Eastcoast-Punkrock-Einschlag dürfte hingegen der große Einfluss von Todd Rundgren, Produzent der legendären New York Dolls, nicht ganz unschuldig sein. Sich von genau diesem Herrn – dessen Zusammenarbeit mit Bombast-Kitsch-König Meat Loaf wir an dieser Stelle einfach mal vergessen – unter die Arme greifen zu lassen, war sicherlich nicht die schlechteste Idee. Gründe dafür gab es zur Genüge, wie Greg bestätigt: „Als Brett, der ein großartiger Songwriter ist, die Band verlassen hat, war das ziemlich hart für mich. Er hatte immerhin stets die Hälfte der Songs geschrieben. Ich hatte auf einmal die riesige Verantwortung, alle Songs zu schreiben. Deswegen bin ich mit den letzten beiden Alben von uns auch nicht vollständig zufrieden. Also habe ich für ’The New America’ nach Hilfe von allen Seiten gesucht, weil es endlich mal wieder ein großartiges Bad Religion-Album werden sollte. Ich verehrte Todd seit meiner Kindheit, und ich brauchte endlich mal wieder jemanden, zu dem ich aufschauen konnte. Ich habe also die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt und diesen Schritt nicht eine Minute bereut.“
„The New America“ stellt gleich in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes dar. Zum einen ist der abtrünnige Brett Gurewitz für einen Song wieder mit an Bord: „Wir haben den Song ’Believe It’ zusammen geschrieben und wir werden in Zukunft eventuell auch wieder mehr zusammen arbeiten.“ Schön zu hören, auch wenn Mr. Gurewitz selbst eher wenig über das neue Album oder einen eventuellen Wiedereinstieg zu sagen hatte. Seiner Aussage nach hätte sich die Zusammenarbeit von seiner Seite nur auf das Schreiben eines Gitarrensolos beschränkt – aber das nur am Rande…
Weiterhin ist es das erste Album von Bad Religion im neuen Jahrtausend und gleichzeitig ein großes Jubiläum. Die Band, ohne die es den Flächen deckenden Melodycore-Boom wahrscheinlich nie gegeben hätte, feiert ihr 20jähriges Bandbestehen. Vor einigen Jahren sagte Greg in einem Interview, dass er hoffe, darauf hingewiesen zu werden, wenn er zu alt und zu fett sei, um auf der Bühne zu stehen – was einige Freunde von Dennis Lyxzen (The International Noise Conspiracy) vor einiger Zeit dazu veranlasste, Greg per E-Mail genau diese Unzulänglichkeiten unter die Nase zu reiben.
Der jedoch denkt noch lange nicht ans Aufhören. „Für mich ist es wichtig, dass wir nach 20 Jahren noch relevant sind. Es spricht dafür, dass Punkrock nichts an Bedeutung verloren hat. Natürlich machen mich der Erfolg von Bands wie Blink 182 stolz, weil sie eine Tradition weiterführen, die wir mit initiiert haben. Sie stellen ein Bindeglied zwischen den Generationen dar. Das beweist, dass Punk keine Erfindung von irgendwelchen Marketingstrategen war.“
Für ihr letztes Album „No Substance“ mussten Bad Religion viel Schelte einstecken. Nicht wenige alte Fans wünschten sich die Band zurück, mit der sie groß geworden waren. Die Band, die sich allerdings schon immer den Vorwurf gefallen lassen musste, nur zwei Songs – nämlich den schnellen und den langsamen – im Repertoire zu haben. Denen, die Bad Religion den großen Sell Out in Richtung Mainstream vorwerfen, wird es auch „The New America“ nicht leichter machen, ihren Frieden mit der Band zu schließen. Dass Bad Religion aber auch zu „Suffer“-Zeiten schon mit einem Bein ein wenig im Pop standen, möchte Greg aber nicht vergessen wissen.
„Ich bin Populist, ich war immer einer und werde immer einer sein. Ich glaube an den gleichen Wert von allen Menschen und versuche deswegen Musik zu machen, die jedem gefällt. Aber ich sehe nicht ein, meine Methode dabei zu ändern. Meine Methode ist, Sachen, die mir nicht gefallen, mit meiner Art auszudrücken und mit meinen Worten anzugreifen. Wenn ich mit dieser Message den größten Erfolg habe, wenn ich sie in einen Popsong verpacke, habe ich kein Problem damit, einen Popsong zu schreiben.“
Die Vorwürfe kommen ohnehin seit Jahren aus der immer gleichen Ecke. „Das Maximum Rock’n’Roll-Fanzine hat wahrscheinlich 1987 das letzte Mal etwas Gutes über uns geschrieben. Das war, als ’Suffer’ erschien. Danach waren wir für die gestorben. Die Major-Diskussion interessiert mich schon lange nicht mehr. ’Sony’ ist keine Firma, die Bomben herstellt. Sie sind dafür da, Entertainment zu verkaufen und sie sind so gut darin, dass sie eine Message zu Millionen von Leuten tragen können. Ich denke, dass ich etwas Wichtiges zu sagen habe, also bin ich diesen Weg gegangen. Der Erfolg von Bands wie Rage Against The Machine zeigt doch, dass das Interesse bei den Kids an Themen jenseits von Sex und Drogen immer noch besteht. Wenn Rage ihre Platten auf Indielabels veröffentlicht hätten, wären viele von ihnen wahrscheinlich nie auf sie aufmerksam geworden.“
Ähnlich wie bei den Revoluzzern aus LA verströmen die Alben von Bad Religion seit jeher Gesellschaftskritik. Dass Greg, der bekanntermaßen hauptberuflich Biologie-Professor in New Jersey ist, dabei traditionell auch vor dem übermäßigen Gebrauch von Fremdwörtern nicht zurückschreckt, regte in der Vergangenheit unzählige Fans zum Erstellen von Textinterpretations-Pages im World Wide Web, und Hasser zum Beschimpfen der Band als Punkrock-Intellektuelle an.
Greg platzt der Kragen: „Das ist Nonsens – wir verstehen uns nicht als eine wie auch immer geartete Elite. Wenn die Kids meine Texte nicht verstehen, muss ich mich einfach so klar wie möglich ausdrücken. Mehr kann ich auch nicht tun. Wenn jemand ein Problem mit dem Verständnis der Lyrics hat, soll er gefälligst selbst das Wissen erlangen, mich zu verstehen. Ich benutze Fremdworte, um Dinge in einen größeren Kontext zu stellen. Ich denke, dass jeder Bildung braucht und mein Job ist es, zu bilden – als Lehrer und auf der Bühne. Welche Zeit ist besser dazu geeignet als die Jugend? Ich glaube wirklich daran, Menschen durch Musik zu bilden und zu erziehen.“
Natürlich trifft die Aufklärungsarbeit, die Greg dabei leistet, gerade in den USA nicht nur auf Gegenliebe. Die Unterhaltungsbranche musste in Übersee im letzten Jahr ohnehin als Sündenbock für diverse High School-Shootings herhalten und das Cover von „The New America“ dürfte vermutlich für neuen Sprengstoff sorgen: „Auf dem Cover kannst du amerikanische Kids sehen, die den Treueschwur auf das Vaterland leisten und dabei die rechte Hand auf dem Herzen haben, während sie in der linken eine Waffe tragen. Wir wurden ja schon als Mittäter angeklagt, weil einer der beiden Jungs von Littleton ein Bad Religion-Shirt mit dem Crossbuster-Logo trug. Der hat sich garantiert nicht mit unseren Texten beschäftigt! Diese ganze Hetze ist so stupide. Diese Leute denken nicht über schärfere Waffengesetze nach. Sie begnügen sich damit, uns und andere Bands für solche Ausbrüche verantwortlich zu m machen. Die religiösen Rechten in den USA haben mehr Angst vor Worten als vor Waffen. Das ist Bullshit – Waffen töten Menschen, Filme oder Musik haben noch nie jemanden getötet. Und ich sehe nicht ein, warum ich in einem Land leben soll, wo ich Angst vor Waffen haben muss.“
Zum Erscheinen dieser Ausgabe wird Greg aller Voraussicht nach, einen Aufenthalt in Myanmar (ehemals Burma) im Auftrag von Amnesty International hinter sich haben, wo die Situation aufgrund der dort herrschenden Militärdiktatur als gespannt gilt. Greg: „Der Gründer von Amnesty hat mich angerufen und mir erzählt, dass die Führerin der demokratischen Oppositionsbewegung in Myanmar ein großer Kunst-Fan ist. Diese Frau steht seit Jahren unter Hausarrest. Sie mag Bad Religion und denkt, dass unser ’Freedom Song’ eine große Hilfe für Burma sein könnte. Ich werde aufgrund der harten Diktatur allerdings vorsichtig sein und erst einmal inkognito und nicht großspurig unter der Amnesty-Fahne reisen, sondern das Land anchecken und versuchen, mich inspirieren zu lassen. Und wenn ich lebend da raus komme, werden wir in Zukunft vielleicht unseren bescheidenen Beitrag für die Freiheitsbewegung dort unten tun.“ Mehr Infos zu diesem Thema gibt es übrigens unter: www. amnesty.de
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„The New America“
– kommentiert von Greg Graffin
„You Got A Chance“: Ein klassischer Bad Religion Song. Wir führen auf, was mit der Gesellschaft falsch läuft und erinnern die Menschen daran, dass nur sie selbst Änderungen herbei führen können. Den Singalong am Ende des Songs haben wir aus „Generator“ geklaut.
„It’s A Long Way To The Promise Land“: Dieser Song ist eine Erinnerung an diejenigen, die ernsthaft geglaubt haben, dass das Jahr 2000 wirklich Veränderungen bringen würde. Wir haben noch einen langen Weg zum gelobten Land vor uns.
„A World Without Memory“: Melodie ist als eine Analogie zu Individualität zu verstehen. Wir sind auf dem Weg in eine Welt ohne Harmonie, weil die Individualität der Menschen verloren geht. Unser größtes Ziel ist es, so angepasst wie möglich zu sein. Mir geht es darum, zu zeigen, dass Individualität das Wichtigste ist, was du hast und wofür du kämpfen solltest.
„New America“: Demokratie scheint zwar im Moment recht angesagt zu sein, aber viele wünschen sich wieder eine simplere Welt, in der ihnen gesagt wird, was sie zu tun und zu lassen haben. Wenn wir aber ein neues Amerika haben wollen, müssen wir uns den anstehenden Problemen stellen und nicht erst auf einen Anführer warten.
„1000 Memories“: Der Song ist ein Rückblick. Er könnte von der Band handeln, von einer Person oder davon, was Punk mir bedeutet hat. Erinnerungen sind mir sehr wichtig.
„A Streetkid Named Desire“: Dieser Text ist autobiographisch. Es geht darum, wie es war, als Punkkid in einer Gegend zu leben, in der wir nicht sehr gern gesehen waren. Ich habe diese Zeit nur durchgestanden, weil die ganze Punk-Community und die Gedanken, die dahinter standen, mir soviel bedeutet haben.
„Whisper In Time“: Der dritte Song hintereinander, der sich mit der Vergangenheit beschäftigt und damit, wie die Zeit an uns vorbei fliegt. Wenn du ein aktives Leben hast, müssen diese Bilder nicht wehmütig sein, sondern können dich einfach daran erinnern, wer du einmal warst und wie du zu dem Menschen geworden bist, mit dem du dich jetzt herumschlagen darfst.
„Believe It“: Diesen Song haben Brett und ich zusammen geschrieben. Für viele Leute war das ’unbelievable’, deshalb haben wir den Song so genannt. Außerdem ist es ein Aufruf an alle Außenseiter, sich mit ihrem Dasein abzufinden und zu zeigen, dass sie etwas drauf haben.
„I Love My Computer“: Menschen verlieben sich heutzutage in ihre Chatpartner im Internet, und für viele ist nicht wirklich klar, ob sie nun die Person lieben, die sie da kennengelernt haben, oder doch nur ihren Rechner. Die Eindrücke, die du von Personen im Internet bekommst, sind gefiltert. Das ist wie Telefonsex – da könnte ein schmieriger Südstaaten-Asi am anderen Ende sitzen, und du könntest das nur herausfinden, wenn du diese Person in der Realität treffen würdest.
„The Hopeless Housewife“: Die Hausfrau steht für Menschen, die ihr Leben aufgegeben haben, um unter dem Schatten eines anderen zu stehen. Diese Frauen haben ihre Stimme und ihren Sinn zu leben verloren. Dieser Song ist ein Aufruf, das nicht geschehen zu lassen.
„There Will Be A Way“: Wie in dem vorherigen Song geht es hier darum, aus den Mustern, in die dich andere zu pressen versuchen, auszubrechen.
„Let It Burn“: Hier will ich jedem noch mal einen Antrieb geben, die Flamme die einen am Leben hält, die einen kreativ macht und kämpfen lässt, nicht verlöschen zu lassen.
„Don’t Sell Me Short“: Klassische Punkrockhymne. Du kannst sagen was du willst, du kannst machen was du willst, aber verkaufe mich nicht für blöd! Mehr braucht hierzu nicht gesagt zu werden.