Category: | Article - Magazine | Publish date: | 5/1/2019 |
Source: | Visions #314 (Germany) | With: | Brett Gurewitz, Brian Baker, Greg Graffin, Jay Bentley |
Synopsis: | A thorough history of Bad Religion, with the two main sources being recent interviews (with Bentley, Gurewitz, Graffin and Baker) and The BR Page. Includes 'Live At Rock Am Ring June 3rd, 2018' as a bonus CD, containing 10 songs. |
Too much to ask
Wir wissen nicht, ob der Besucher mit dem Slogan auf der Jacke sich im Verlauf des hier gezeigten Bad-Religion-Konzerts im Frühjahr 1981 mit dem Rücken zur Band drehte und dabei einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Falls nicht, wäre es ein umso schönerer Zufall: 20 Jahre nach diesem Abend veröffentlichten Bad Religion einen Songs namens You Don't Belong, in dem sie an ihre Weggefährten aus frühen Cali-Punk-Tagen erinnerten, etwa an den Descendents-Frontmann Milo Auckerman oder den einflussreichen Radiomoderator Rodney Bingenheimer. Um solche Zusammenhänge rund um eine der dienstältesten Bands des Genres zu erkennen, nach fast 40 Jahren Bandgeschichte, braucht es aber schon einen Spezialisten. Wenn unser Redakteur GERRIT KÖPPL nicht schon vorher einer war, so ist er es spätestens jetzt - nach der Recherche für seine Bad-Religion-History, die anlässlich ihrer neuen Platte Age Of Unreason erscheint. Gerrit ist seit den Teenagerjahren Anhänger der Polit-Punk-Veteranen um Greg Graffin und Brett Gurewitz; trotzdem war er froh, für seine Geschichte gleich zwei unerschöpfliche Quellen anzapfen zu können. Zum einen das seit Mitte der 90er von Fans geführte Bandarchiv thebrpage.net, das zwar im Minutentakt vom Netz geht, weil der Server so schwach ist, aber ansonsten eine Flut von Fakten zu Bad Religion bereithält. Zum anderen die Musiker selbst, die Gerrit Rede und Antwort standen: Gitarrist und Labelchef Gurewitz zum Beispiel hinterließ ihm seine Durchwahl bei Epitaph mit der Bitte, einfach durchzurufen, wenn noch Fragen wären. Bassist Jay Bentley wiederum saß gerade am Steuer seines Cabrios, als Gerrit ihn auf dem Handy erwischte - und wünschte sich prompt ein Headset. "Schaltgetriebe und konzentriert sprechen ist schwierig", entschuldigte sich der Musiker und plauderte daraufhin so lange zwanglos über Kaliforniens Wetter und Automobilkultur, bis er endlich auf dem heimischen Wohnzimmersofa ankam und es ans Eingemachte gehen konnte. Was es dann auch ging. Viel Spaß mit Gerrits Geschichte und mit VISIONS 314!
Dennis Plauk
Für die Redaktion
Bad Religion sind die einflussreichste kalifornische Punkband aller Zeiten. Fast 40 Jahre gibt es sie - vier Jahrzehnte, in denen sie ihren prägenden Stil, ihre starke Haltung und ihre jugendliche Leidenschaft bewahrt haben. Mit Age Of Unreason erscheint ihr 17. Album und damit eine weitere pointierte Antwort auf die gegenwärtige Schräglage der Welt. Um deren Relevanz zu verstehen, lohnt es sich, die Geschichte der Band mit dem Crossbuster-Logo zu kennen. Gerrit Köppl hat Fanzines durchwühlt, Liner Notes studiert, alte VHS-Aufnahmen gesichtet und Gespräche mit Greg Graffin, Brett Gurewitz, Jay Bentley und Brian Baker geführt, um sie nachzuerzählen.
1979-1988
The Age Of Nativity
Die Geschichte von Bad Religion beginnt 1979 an der El Camino Real Charter High School im San Fernando Valley, ein dicht besiedeltes Tal nördlich von Los Angeles, das in weiten Teilen zur Stadt dazugehört. Die beiden 15-jährigen Greg Graffin und Jay Bentley freunden sich dort an, weil sie die einzigen sind, die mit Black-Flag-Shirts, Igelfrisuren und zerrissenen Jeans zur Schule kommen - sie sind Außenseiter, die hier nur zusammen bestehen können. Brett Gurewitz und Jay Ziskrout geht es mit ihrer Leidenschaft für die Ramones und Buzzcocks ähnlich. Sie sind auf der gleichen Schule, aber zwei Jahre älter als Graffin und Bentley und werden einander über einen gemeinsamen Freund namens Tom Clement vorgestellt. Mit Graffin als Sänger, den schon etwas banderprobten Ziskrout am Schlagzeug und Gurewitz an der Gitarre üben sie in der Garage von Graffins Mutter - dem sogenannten Hellhole. "Das San Fernando Valley ist heiß wie eine Wüste, doch wegen der Nachbarn hielten wir jedes Fenster, jede Tür geschlossen und isolierten alles mit Schaumstoff", erinnert sich Graffin. "Es wurde immer heißer, die Hitze konnte nicht entweichen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, war das wohl ein entscheidender Faktor, nicht nur für den Namen des Proberaums, sondern auch für den unseres ersten Albums How Could Hell Be Any Worse."
Den Bass drücken sie Bentley irgendwann einfach in die Hand, weil der noch fehlt - und so entsteht die erste, noch namenlose Inkarnation von Bad Religion. Wenn er an die ersten Vorschläge für den Bandnamen zurückdenkt, stellen sich Bentley die Nackenhaare auf: Head Cheese, Smegma und Vaginal Discharge stehen im Raum. Irgendwann kommt das Adjektiv "Bad" ins Spiel - Bad Family Planning, Bad Family Life. Den Ausschlag zum finalen Namen gibt schließlich der Aufschwung der christlich-religiösen Rechten in den USA. Gurewitz nennt in einem Interview speziell Jerry Falwell als ausschlaggebend, ein Fernsehprediger, der 1979 die einflussreiche Lobbyorganisation "Moral Majority" gründet und damit Präsident Ronald Reagan (1981-1989) zur Macht verhilft. Bad Religion - das ist provokant, Vorlage für ein geniales Logo und repräsentativ für eine progressive Haltung in Zeiten von erstarkendem Konservatismus, was den damals noch Jugendlichen schon früh wichtig ist.
"Ich erinnere mich daran, wie Brett, Greg, Jay Ziskrout und ich nach einer Probe eine Unterhaltung darüber hatten, wofür diese Band stehen soll", erzählt Bentley aus dieser Anfangszeit. "Das war eine entscheidende Grundsatzdiskussion darüber, was bedeutsamer sein könnte, als einfach zu sagen, dass du die Cops nicht magst, dass jemand fies zu dir war oder deine Freundin dich verlassen hat. Hauptsächlich hat uns unsere Teenage Angst angetrieben - das unangenehme Gefühl, 15 zu sein." Gurewitz drückt es etwas präziser aus: "Was Greg und mich angetrieben hat, waren immer links-politische Grundsätze wie Redefreiheit, rationales Hinterfragen und Überprüfen, Freiheit, Toleranz und Gleichberechtigung und all das. Wir interessierten uns immer für Wissenschaft und Philosophie. Wir waren kleine Nerds, die früh Religion abgelehnt hatten und von Anfang an versuchten, darüber zu schreiben. Zuerst waren wir nicht wirklich gut darin, aber wie auch, Greg und Jay waren 15 und ich 17."
"Wir waren ein bisschen altklug, doch wir wurden besser", sagt Gurewitz und lacht. Punk als Subkultur mögen sie alle, doch bei den Bands sind sie sich nicht immer ganz einig. Bentley: "Wenn wir auf die musikalischen Einflüsse der Band schauen, dann sind die für jedes Mitglied sehr individuell. Brett war Ramones-Fan, ich liebte The Jam, und Greg war von der britischen Punkszene fasziniert, er war großer Fan der U.K. Subs. Greg und ich mochten Motörhead, Brett wiederum Elton John, womit Greg und Ziskrout so gar nichts anfangen konnten. Er mochte sogar Emerson, Lake & Palmer. Wir waren komplett unterschiedlich - nur auf Elvis Costello konnten wir uns einigen. Textlich, musikalisch, einfach alles. Er hat uns zusammengehalten. Das klingt jetzt erstmal komisch, aber textlich passt das. Und wenn du auf seine Musik etwa 110 Beats pro Minute draufpackst..."
Schon im Januar 1980 nehmen die vier die erste Demo-Kassette auf. Sie findet ihren Weg über den profilierten Punk-Drummer Lucky Lehrer, der damals bei den Circle Jerks spielt, in die KROQ-Radioshow von DJ Rodney Bingenheimer, gilt aber heute als verloren. Bentleys private Kopie wird ihm 1990 aus dem Auto geklaut. Die erste Show spielen Bad Religion als Vorband von Social Distortion auf einer Party in einem Lagerhaus. Sie haben nur eine Handvoll Songs. Sensory Overload ist der erste, den Gurewitz schreibt, "und meiner, glaube ich, Politics oder Slaves", so Graffin. Er erinnert sich, wie er sie auf dem Klavier geschrieben hat, so entstehen bis heute noch viele seiner Songs. Die zwei sammeln so lange neue Songs, bis genug für eine Veröffentlichung da sind - auch das geteilte Songwriting-Prinzip hat sich bis in die Gegenwart bewährt. Die ersten Songs erscheinen 1981 auf der Debüt-EP Bad Religion, für die Gurewitz sein Label Epitaph gründet. Bad Religion ist darauf die erste Veröffentlichung mit der Katalognummer EPI 001; es erscheinen insgesamt 2.000 Seven-Inches, von denen die erste Pressung von 500 Exemplaren heute noch rund 500 Euro kostet. Sie ist schon damals ein Erfolg, wird in Fanzines angepriesen und verkauft sich gut. Die Band kann die Produktionskosten wieder einspielen und damit ihr kommendes Debütalbum mitfinanzieren - den Rest leiht ihnen Gurewitz' Vater Richard, dem in den Liner-Notes unter dem liebevollen Namen Big Dick gedankt wird.
Die Hälfte des Albums nehmen sie noch Ende 1980 auf, als Ziskrout von jetzt auf gleich aussteigt. "Aus irgendeinem wirklich dummen Grund", erzählt Graffin später im Goldmine Magazin, "von wegen: 'Ihr hört mir nicht genug zu, leckt mich doch!' oder so." Zum Glück hat Ziskrout einen Kumpel namens Pete Finestone, der der Band seit ihren Anfängen folgt, alle Songs kennt und sich ihr förmlich aufdrängt - er wird sofort sein Nachfolger. Ein fünftes Mitglied nimmt auch schon klammheimlich an den Studiosessions teil: Greg Hetson von den Circle Jerks spielt das Gitarrensolo auf Part III, wird aber erst später offizielles Mitglied. How Could Hell Be Any Worse? erscheint schließlich im Februar 1982 und verkauft sich unheimlich gut. Fast 10.000 von der Band selbst verpackte Platten gehen innerhalb eines Jahres über die Ladentheken. Es wird ein Meilenstein des Westküsten-Hardcores.
Doch auf den haben Bad Religion schon bald keine Lust mehr. Angeblich frustriert sie die Punk-Szene. Nord- und Südkalifornien, San Francisco und Los Angeles sind im ständigen Subkultur-Clinch. "Das ist wie der Unterschied zwischen einem Hamburger und einem Bayer", vergleicht es Graffin. "So richtig verstehen das nur Deutsche. In Los Angeles ging es ums Skaten und Surfen, in San Francisco mehr um Hippies und Kunst. Da gab es Rivalitäten, aber ganz so ernst war es auch nicht. Irgendwann ist die Szene da rausgewachsen." Trotzdem folgt plötzlich die Flucht nach vorn in den New Wave: Graffin spielt mit einem Synthesizer herum, Gurewitz lässt seine Liebe zu Emerson, Lake & Palmer aufblühen - und plötzlich wird aus den Punks eine höchstens mittelgute Prog-Rock-Band.
Bentley zeigt seinen Kollegen angeblich noch während der Aufnahme des ersten Songs für das passend betitelte Album Into The Unknown den Vogel und schmeißt hin. Finestone verabschiedet sich, um in England studieren zu gehen. Graffin und Gurewitz nehmen die Platte mit Bassist Paul Dedona und Schlagzeuger Davy Goldman fertig auf, doch sie wird ein kommerzieller Flop. Die Szene kehrt Bad Religion den Rücken - und Bad Religion zerbricht. Graffin zieht in seinen Heimatstaat Wisconsin in der Hoffnung, dort mit staatlicher Unterstützung studieren zu können. Gurewitz wird schwer drogensüchtig, sein Label Epitaph ist bankrott, er schlägt sich mit einem Job beim Label Chameleon durch.
Es ist Greg Hetson zu verdanken, dass die Story hier nicht aufhört. Als Graffin mit seiner Bewerbung in Wisconsin scheitert und kaum ein Jahr später zurück nach Kalifornien zieht, überzeugt der Circle-Jerks-Greg den Studi-Greg, die Band wieder aufleben zu lassen. Hetson schnappt sich Gurewitz' Position an der Gitarre. Am Bass ist vorerst Tim Gallegos von den LA-Punks Wasted Youth. Zufällig ist Finestone zurück in Amerika, und wenn er doch wieder nach England muss, helfen Lucky Lehrer oder John Albert aus, ein weiterer Freund der Band. Zusammen grooven sie sich erstmals auch mit Shows außerhalb Südkaliforniens wieder ein, finden zum alten Sound zurück, schweigen die Prog-Platte fortan tot und nehmen die EP Back To The Known auf, mit Gurewitz als Produzenten. Er ist von den Drogen weg, hat aber Angst, von der Szene nicht akzeptiert zu werden. Als er bei einer Show für Hetson einspringen muss, weil der bei den Circle Jerks gebraucht wird, ist die Magie aber wieder da, und Bad Religion sind ab sofort offiziell zu fünft. Schließlich lässt sich auch Bentley, der in der Zwischenzeit in mehreren anderen Bands unterwegs war, wieder zur Rückkehr bewegen, als Graffin ihm verspricht, dass er keine Songs von Into The Unknown spielen muss.
1988-1992
The Age Of Suffering
So ganz revitalisiert sind Bad Religion aber erst, als die ersten Songs für das dritte Album zusammenkommen. Bentley nennt Suffer den Beginn einer neuen Epoche für die Band. "Da fingen wir an, erwachsen zu werden und uns nicht mehr wie entmündigte Jugendliche zu fühlen. Wir gehörten jetzt mit zu den Großen und konnten sehen, was hinter den Vorhängen passiert." Er beschreibt die Ausgangslage, bevor die Arbeiten am Album beginnen: "Wir waren nie auf Tour, wir haben nichts Besonderes vollbracht. Greg war verheiratet, Brett hatte ein Studio, wir alle hatten Jobs und machten bloß, was normale Erwachsene so tun. Gleichzeitig waren wir angepisst, weil das alles ein großer Scheiß war. Es gab da so viel, über das man reden musste, zum Beispiel wie es ist, wenn man versucht, sich wie ein erwachsener Mensch zu benehmen und dann zu merken, dass dieser Amerikanische Traum, den die Leute versuchen zu leben, nur ein Hirngespinst ist und nichts Reales. Mit dieser Mentalität arbeiteten wir an Suffer, vor allem Brett, der gerade zurück in der Band war, voller Ideen aus den vergangenen Jahren, die viel mit seinen verzweifelten Versuchen zu tun hatten, erwachsen zu werden. Wir waren 15 bei der ersten EP - und dann plötzlich 24."
Man hört es. Die Texte von Graffin und Gurewitz werden zu dem anspruchsvollen Gemisch aus Naturwissenschaft und Philosophie mit den großen Wörtern, für die selbst Muttersprachler ein Lexikon brauchen und die mit so vielen Referenzen und Wortbedeutungen gespickt sind, dass sich bis heute in Foren darüber gestritten wird, worum es wirklich geht, selbst wenn der Dichter selbst die Frage schon beantwortet hat. Gurewitz nennt den russischen Philosophen Fjodor Dostojewski und dessen wiederkehrende Figur des Leidens als Bedingung für persönliche Katharsis als zentrales Thema für Suffer. Er schreibt über Konsum (How Much Is Enough?) und Drogenprobleme (Forbidden Beat), Nihilismus (Do What You Want) und Indeterminismus (Delirium Of Disorder), während Graffin vor allem soziopolitisches anspricht, wie Selbstbestimmung (You Are (The Government)), sozialen Druck durch falsche Vorbilder (Land Of Competition) und - natürlich - religiöse Indoktrination (Best For You, Pessimistic Lines).
Suffer ist inhaltlich so dicht und musikalisch so viel weiter als verpönter Drei-Akkorde-Punk, es ist revolutionär. Heute wird es häufig als ihr bestes Album genannt. "Die Platte, die alles verändert hat", schreibt Fat Mike von NOFX in einem Text zu deren Album S&M Airlines, das ein Jahr nach Suffer bei Epitaph erscheint, und wird damit gerne zitiert. Für Bad Religion ändert sich auch einiges. Nicht gleich zur Veröffentlichung 1988, denn besonders gut verkauft sich das Album nicht. Ihre nun größer angelegten Touren spielen auch noch nicht genug Geld ein, um dauerhaft praktikabel zu sein. Gurewitz, der sich gerade um den Wiederaufbau von Epitaph kümmert, lehnt deshalb zunächst auch das Angebot eines Promoters ab, die Band nach Europa zu holen. Als sie sich schließlich doch überzeugen lassen, spielen sie vor allem in Deutschland in ausverkauften Läden - zum ersten Mal am 19. August 1989 in der Zeche Carl in Essen.
Gurewitz erinnert sich genau an diesen Tag: "Wir hatten keine besonderen Erwartungen, unser Tour-Manager meinte auch, als US-Band sei man hier nicht automatisch populär. Doch dann waren 500 Leute in dem Laden und mehr als 1000 weitere vor der Tür, die nicht mehr reinkamen. Jeder kannte jeden Text von jedem Song, die Kids hingen von der Decke, es hat darin geregnet, so heiß war es. Ich sehe es noch genau vor meinen Augen. Und dann war jede Show in Deutschland so. In dem Moment wusste ich, dass Bad Religion eine bedeutende Band sind. Und man muss bedenken, es gab uns da schon sieben Jahre, länger als so manche Ehe hält." Leider fehlt die Show auf der VHS-Kassette Along The Way, die zusammen mit einem Audiomitschnitt aus Bremen Clips und Interviews von dieser Tour zeigt. In denen redet Gurewitz im Detail über seine Drogensucht und Greg Hetson über sein Nintendo Entertainment System. Immerhin hat er auch den Back To The Known-Song Frogger geschrieben.
"Mit Suffer fingen wir endlich an, als Band richtig zu funktionieren", so Bentley. Und wie sie funktioniert: Getrieben von der positiven Resonanz und dem wachsenden Gefolge schreiben und produzieren Bad Religion noch während der Tour den Nachfolger No Control. Schneller, härter und aggressiver als Suffer wird sie zu einer essenziellen Melodic-Hardcore-Platte, die heftig einschlägt. Vom Release Ende 1989 bis 1992 verkauft sich No Control rund 80.000 Mal, ein riesiger Erfolg für die Band und Epitaph. Wieder gehen Bad Religion auf Tour, sind im Juli 1990 in Europa und spielen 19 Shows in Deutschland und Österreich - doppelt so viele wie auf der vorangegangenen US-Tour. Wenn Graffin heute bei Konzerten in Deutschland erzählt, dass das hier sein Lieblingspublikum sei, versucht er sich nicht mit Floskeln einzuschleimen, sondern sagt die Wahrheit. Dahinter steckt eine jahrzehntelange Verbundenheit.
Vor der Tour hat das Quintett längst Against The Grain aufgenommen, das im November 1990 erscheint und den Verkaufserfolg von No Control noch einmal um ein paar Tausend Einheiten übertrifft. Textlich ist es hoch wissenschaftlich, vor allem die von Graffin geschriebenen Songs: Entropy über den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik als Metapher dafür, dass der Effekt jedes menschlichen Handelns das Ende des Universums nicht abwenden kann; Modern Man über den Menschen als egozentrischen Umweltzerstörer, ein fehlgeleitetes Produkt der Evolution; God Song über Religion als menschengemachtes Kulturphänomen, das in einer globalisierten Gesellschaft ein großes Hinderniss für den Fortschritt darstellt. Graffin hat die vergangenen drei Jahre mit seinem an der University Of California Los Angeles (UCLA) erworbenen Masterabschluss in Geologie auf Feldstudien verbracht, wenn er nicht gerade auf Tour war. Nun steht er kurz vor seinem Umzug nach Ithaca, New York, um dort an der Elite-Uni Cornell auf einen Doktortitel hinzuarbeiten.
Gurewitz dagegen schreibt persönlichere, emotionaler gesteuerte Songs, darunter auch die Hits Flat Earth Society, Anesthesia und 21st Century (Digital Boy). Auch Bentley schreibt einen Song ganz allein: The Positive Aspect Of Negative Thinking, den er absichtlich mit so vielen großen Worten wie nur möglich vollstopft, um das Intellektuellen-Image seiner Band zu persiflieren und dabei gleichzeitig etwas Selbstkritik zu üben. Der Text ist kaum zu entziffern, laut Graffin ergebe er grammatikalisch nicht einmal Sinn - aber so genau weiß das eben niemand. Against The Grain ist auch das Album, auf dem Bad Religions charakteristische "oozin aahs" zu voller Geltung kommen - so nennen sie später in Liner-Notes den drei- bis fünfstimmigen Gesang. Mit dem Album vervollständigt die Band eine Art Trilogie, die zwar inhaltlich nicht zusammenhängt, aber ihren Status als wohl einflussreichste Punkband ihrer Zeit festigt.
Finestone steigt 1991 schließlich aus, kurz bevor die Band das nächste Album Generator aufnimmt und die Tour zu Against The Grain startet. Er will sich auf ein Nebenprojekt und seine Familie fokussieren. In den Liner-Notes zu Generator danken sie ihm gleich zu Anfang- es war eine freundschaftliche Trennung. Greg Hetson rekrutiert Bobby Schayer als seinen Nachfolger. Den kennt er noch aus den Anfangstagen der Circle Jerks, denn Schayer hat das Schlagzeugspielen bei deren damaligem Drummer Lucky Lehrer gelernt - und so schließt sich wieder ein Kreis. Schayer sieht an seinem Set immer ungemein entspannt aus, doch der Multiinstrumentalist ist der versierteste Musiker, den die Band dabei hat: Er spielt hochpräzise, bewusst mit viel Dynamik und bringt einen eigenen Sound mit, der sich auf dem kommenden Album deutlich bemerkbar macht. Doch das ist nur der Anfang einiger gravierender Veränderungen.
1992-2001
The Age Of Atlantic
"Mit Generator beschloss Brett bewusst, nicht mehr so hochtrabende Wörter zu benutzen, ich erinnere mich da an so eine Diskussion", sagt Bentley. "Ihm war es immer wichtig, Gefühle eines ganzen Lebens in Drei-Minuten-Songs zu verpacken, und zwar mit Hilfe von Begriffen mit multiplen Bedeutungen auf verschiedenen Ebenen. In diesen Raum ließ sich so viel reininterpretieren. Das wollte er vereinfachen. Greg [Graffin] war jetzt Wissenschaftler, seine Songs und die Art, wie er schreibt, die ist halt, wie er ist. Aber Brett änderte seinen Stil." Seine Songs werden noch persönlicher und introspektiver, wie der Titelsong, den Fans bis heute zu entschlüsseln versuchen, weil Gurewitz die Bedeutung bestimmter Zeilen nicht erklären möchte. Atomic Garden mit seinem Klavier und dem schnellen Upbeat-Rhythmus fällt auch musikalisch aus dem Rahmen. Gurewitz sagt in einem Interview mal, dass er beim Schreiben ganz konkret das gemeinsame Idol Elvis Costello vor Augen gehabt hätte. Graffins Songs fallen gewohnt scharf, direkt und intellektuell aus. Das Album entsteht während des in den Medien omnipräsenten Zweiten Golfkriegs - Graffins Fertile Crescent handelt davon, Gurewitz' Heaven Is Falling auch. Beide Songs sind schon vor dem Album auf einer Non-Profit-Seven-Inch des Magazins Maximum Rocknroll erschienen, für dessen B-Seite die Band den linken Intellektuellen Noam Chomsky überzeugen konnte, eine politische Analyse einzusprechen.
Das Album ist 1992 ein massiver Erfolg für die Band und Epitaph. Es werden noch vor der Veröffentlichung mehr Ausgaben vorbestellt als Against The Grain insgesamt verkaufen konnte. Allein in Deutschland werden 50.000 Import-Exemplare geordert, es steigt hier auf Platz 49 der Charts. Nur ein Jahr später erscheint das nächste Album Recipe For Hate, für Bad-Religion-Verhältnisse das wahrscheinlich experimentellste - Into The Unknown ausgenommen -, mit besonders ausgefeilten Harmonien dank prominenter Gastbeiträge von Eddie Vedder auf Watch It Die und American Jesus und der langjährigen Weggefährtin Johnette Napolitano von Concrete Blonde auf Struck A Nerve, mit Slide-Gitarren von Studiomusiker Greg Leisz auf Man With A Mission und einer seltsamen Klangcollage namens Stealth zum Schluss. Und doch ist das Ausmaß des Erfolgs noch viel größer als bei Generator: sechsstellige Verkaufszahlen in den ersten drei Monaten, American Jesus und Struck A Nerve laufen im US-Rockradio und mit dazugehörigen Musikvideos auf MTV. Nirvana haben dem Punkrock mit Nevermind den Weg in den Mainstream geebnet, und aus einem Grund, den die Band erst nicht ganz nachvollziehen kann, werden ausgerechnet sie als sehr frühe Genrevertreter davon mitgerissen.
Graffin beflügelt das. Er möchte seine wissenschaftliche Arbeit in New York vorerst hintanstellen, um Bad Religion endlich zum Fulltime-Job zu machen. Gurewitz kann da nicht mitgehen, aus verwandten Gründen: Bei Epitaph stehen Bands wie Pennywise, Rancid, NOFX und The Offspring unter Vertrag, die mit dem Punkrock-Boom genauso durch die Decke gehen. Doch zu dieser Zeit hat sein Unternehmen nicht einmal ein halbes Dutzend Angestellte. Er entscheidet sich für die Label-Arbeit und verlässt Bad Religion 1994, ungefähr zu der Zeit, als The Offspring ihr Album Smash veröffentlichen. Es ist das bis heute weltweit meistverkaufte Album, das auf einem Independent-Label erschienen ist und macht Epitaph zu einem der einflussreichsten Indies aller Zeiten. Doch die Trennung hat ihren Preis.
Bad Religion machen den Sprung zum Majorlabel Atlantic, das Gurewitz die Rechte für Recipe For Hate abkauft und es noch einmal veröffentlicht. Als Gurewitz aussteigt, ist der Nachfolger Stranger Than Fiction bereits geschrieben und aufgenommen, tatsächlich stammen sogar alle Singles noch aus seiner Feder, darunter das Titellied und Infected. Auch vertreten: MC5-Gitarrist Wayne Kramer mit der Leadgitarre auf dem Opener Incomplete und Rancid-Sänger Tim Armstrong mit einer Strophe auf Television. Live spielt die Songs Gurewitz' Nachfolger Brian Baker. Der ist eine Art Institution in der Hardcore-Welt: Baker kommt aus Washington D.C. und hat mit 15 die legendäre Band Minor Threat mitgegründet. Er spielte kurz bei Glenn Danzigs Band Samhain, später bei Dag Nasty und Junkyard. 1994 soll er bei R.E.M. für ihre anderthalbjährige Monster-Tour angeheurt werden und sagt erst zu - bis ihm der Job bei Bad Religion angeboten wird. Er ist bis heute festes Mitglied und aus der Bad-Religion-DNA nicht mehr wegzudenken.
Graffin wühlt Gurewitz' Ausstieg auf - sein langjähriger Songwriting-Partner und bester Freund ist weg. "Er hat es mir am Telefon gesagt, und ich war sehr enttäuscht. Ich habe es nicht persönlich genommen, denn ich wusste, das ihn die Arbeit mit Epitaph gerade herausforderte und er auch privat viel durchmachte. Er behauptete, er hätte sich mit Jay gestritten, aber ich spürte, dass es auch andere Gründe gab. Trotzdem: Es war entmutigend, ich war niedergeschlagen." Graffin sucht Hilfe bei seinen Bandkollegen und Produzent Ric Ocasek, der Bad Religion beim kommenden Album zur Seite steht. "Die Songs, die Greg für The Gray Race geschrieben hat, waren sehr persönliche", sagt Bentley mit dem Blick von außen. "In seinem Privatleben gab es damals viel Tumult und er musste einiges durchmachen. Er schrieb das Album über die Auflösung einer Beziehung [Graffin ließ sich 1996 von seiner ersten Frau Greta scheiden, mit der er zwei Kinder hat]. Ich liebe die Platte, ich glaube, sie ist unsere persönlichste. You war vorher das einzige Liebeslied, das wir je geschrieben hatten. Und nun hatten wir ein komplettes Album, das Gregs Schmerz gewidmet war." Das ist nicht gleich offensichtlich, denn natürlich geht es hier auch um weltpolitische Themen, darunter Armut und Überbevölkerung (Ten In 2010, Punk Rock Song), Militarismus (Victory) und das bekannte Motiv der Indoktrination (Come Join Us). Songs wie Parallel und Cease lassen zwischen den Zeilen aber erkennen, was Bentley meint. Mutmaßlich deswegen nimmt Graffin den letzteren in einer sehr reduzierten Form noch einmal für sein erstes Folk-Soloalbum American Lesion auf, das ein Jahr später bei Atlantic erscheint.
Auf Tour in Europa nehmen sie Konzertmitschnitte für ihr erstes Live-Album Tested auf. The Gray Race kommt dort sehr gut an, was vermutlich weniger an der kruden deutschsprachigen Version des Punk Rock Song liegt, die auf der hier vertriebenen Maxi-CD veröffentlicht wird, sondern daran, dass das Album auch ohne Gurewitz gelungen ist. Das Niveau kann die Band aber nicht halten. Was in den nächsten fünf Jahren folgt, nennt Graffin selbst das "dunkle Zeitalter", und auch Bentley muss seufzen. "Ich bemühe mich immer, mich nicht so negativ zu den folgenden zwei Alben zu äußern. Aber ich nenne sie gerne einfach Vertragspflicht eins und zwei."
No Substance ist Nummer eins. Hier helfen Baker, Hetson und Bentley fleißig beim Songwriting, indem sie sich alle im Studio zusammensetzen und die Songs schnell, dafür ziemlich unpoliert fertigstellen. Der langjährige Bandfreund Campino von den Toten Hosen ist auf dem Mitsing-Protestsong Raise Your Voice zu hören - das inhaltlich womöglich flachste Stück in der Diskografie der Band, auch wenn es gut gemeint ist. An ihren kommerziellen Erfolg können Bad Religion damit nicht mehr anknüpfen. Dafür schwimmt Gurewitz drüben bei Epitaph förmlich im Geld, was eine große Schattenseite hat: Er erleidet vom Ruhm überwältigt einen Rückfall und wird schwer heroinabhängig. Nach einer Überdosis verhaftet ihn die Polizei mit den Drogen. Er kommt nur so schnell aus dem Gefängnis, weil er sich auf gerichtliche Anweisung in die Entzugsklinik begibt. Das passiert Ende der 90er. Seitdem ist er clean.
Für das 2000 erschienene The New America arbeiten Bad Religion mit dem Utopia-Bandchef Todd Rundgren als Produzent zusammen. Graffin verehrt den Progrock-Musiker sehr, der Rest der Band kommt nicht gut mit ihm klar, als sie das Album mit digitalen Pro-Tools in einer Garage auf Hawaii aufnehmen. Sogar auf die Texte hat er Einfluss. In einem Interview 2000 mit dem EQ Magazine sagt er über das kommende Album: "Statt diesem typischen 'Die Welt ist scheiße'-Ding von Bad Religion klingt es mehr nach 'Wir müssen was tun, also lasst uns das organisieren'. Die Mitglieder der Band haben inzwischen fast alle Kinder und sowas. Die können nicht mehr rumlaufen und sich wie postpubertierende Problemkinder benehmen."
Aber es gibt auch gute Nachrichten. "Ich habe immer gesagt, dass Bretts Ausstieg uns nicht stoppen darf, dass wir weiter Musik machen müssen", so Graffin. "Weil er irgendwann zurückkommen könnte. Und das tat er." Weil The New America das 20-jährige Bandjubiläum symbolisch feiern soll, überzeugt Graffin ihn bei einem Treffen auf Tour in New York zu einer Zusammenarbeit, woraus der gemeinsame Song Believe It entsteht. Mit der Veröffentlichung von Vertragspflicht zwei haben die Jungs ihr gefordertes Soll bei Atlantic erfüllt. "Dann fragte ich ihn: 'Hey Brett, können wir wieder aufs alte Label?' Und er meinte 'klar, das wäre toll.' Warum wir nicht einfach wieder zusammen Songs schreiben, warf ich in den Raum - und das war unser Neuanfang.'